Sabeth Buchmann

Görlitzer Park, Berlin 17.7.2004

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S.R.: Wie schätzt du überhaupt die Möglichkeiten ein, welche Möglichkeiten nimmst du dir, um aus einer heutigen Perspektive und Position heraus über die Konzeptkunst zu schreiben, zu sprechen, zu arbeiten?

S.B.: Aus einer heutigen Position heraus, so eine Frage impliziert: worin liegt die Aktualität, worin liegen mögliche Verbindungen zu einem eigenen kunstkritischen Schreiben oder auch zu der eigenen Lehre oder zu künstlerischen Ansätzen, für die man sich in besonderer Weise interessiert. Ich kann dazu sagen, dass das Interesse, oder ein verstärktes Interesse, zurückgeht zum Anfang der 1990er Jahre. Das war in einer Phase, von der man sagen kann, dass bestimmte Strömungen wie die Kontextkunst oder eben auch Institutionskritik, die zweite bzw. dritte Generation der Institutionskritik begann sich zu etablieren. Es lag gewissermaßen in der Luft, sich mit ganz spezifischen Bezugnahmen auf die historische Konzeptkunst bzw. den historischen Konzeptualismus anzusetzen. Ich habe das damals im Rahmen der Verbindung getan, die zwischen einer Theoretisierung von Konzeptkunst auf der einen Seite und auf der anderen Seite einer stärker medientheoretischen oder technologietheoretischen Fragestellung, die so im Rahmen von poststrukturalistischer Medientheorie oder auch postmodernen Medienphilosophien zu der Zeit aufkam. Als ich damit angefangen habe, habe ich das eher in einem kritisch- rekonstruierenden Sinne vielleicht getan, zu sagen, welche Verbindungen gibt es zwischen einem emphatischen Begriff des Mediums oder einem emphatischen Begriff der Technologie in speziellen Diskussionen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite im Bezug auf Referenzen, die zumeist in eine Phase der 60er und 70er Jahre zurückreichten, die man gemeinhin auch mit Konzeptualismus verbindet. Aus dieser Beschäftigung ist ein Ausstellungsprojekt entstanden, das ich mit zunächst dreißig, später vierzig Akteur/innen zusammen mir ausgedacht habe, organisiert habe, kuratiert habe, zunächst in der Shedhalle in Zürich, später in den Kunst-Werken Berlin, das war 1994/95. Die Ausstellung trug den Titel „When techno turns to sound of poetry”. Darin ging es, ganz grob umrissen, um die Fragestellung, welche Wechselwirkungen es zwischen spezifischen technologischen oder auch szientistischen Darstellungsweisen auf der einen Seite, und konzeptuellen Bildsprachen oder Objektsprachen auf der anderen Seite gab. Entscheidend für die Beschäftigung waren damals kritische Revisionen der historischen Conceptual art, vor allen Dingen der anglo-amerikanischen Konzeptkunst, wie sie beispielsweise durch Buchloh in seinem Text „From the Aesthetics of Administration to Institutional Critique” geleistet worden sind, auf der anderen Seite aber auch, wie ich ja schon gesagt habe, emphatische, eher unkritischere Bezugnahmen, also eher romantisierende oder auch nostalgische Bezugnahmen auf die Konzeptkunst. Wir haben versucht, aus einem Kontext heraus, in dem Technologie als kulturelles Paradigma wichtiger wurde und signifikanter wurde auch im Bezug auf die Frage, wie, aus welchen Motiven, Praktiken, bezogen auf was positioniert sich eigentlich so eine Art von Neo-Konzeptkunst? Aus der Fragestellung heraus haben wir versucht, spezifische Wechselweisen zu untersuchen und neuere Ansätze in dem Umfeld von Kontextkunst auf diese Fragestellung zu beziehen. Das ist, wie gesagt, mittlerweile fast schon zehn Jahre her. Es hat mich aber dann weiter begleitet und beschäftigt. Daraus ist dann meine Dissertation entstanden, die diese Fragestellung weiterentwickelt hat, sich exemplarische Produktionen oder Werkentwürfe des historischen Konzeptualismus einmal vorgenommen hat und versucht hat zu fragen, wieweit diese Art von Diskursen, die um neue Medien, um neue Technologien oder eben auch einen emphatischen Informationsbegriff, wieweit das in etwas hinein gewirkt hat, was innerhalb des konzeptuellen Diskurses als obsolet galt, nämlich über Produktion zu sprechen. Wie dir selber ja klar ist, ging es in der Diskursivierung vom Konzeptualismus zunächst um Kategorien wie Rezeption, Distribution oder Präsentation, aber auf merkwürdige Weise war der Produktionsbegriff – aus spezifischen historischen Gründen heraus, in Abgrenzung zu einem bestimmten emphatischen Produktionsbegriff in modernistischen Werkentwürfen – also dass diese Kategorie doch weitgehend ausgelassen war. Für mich war die Frage: warum eigentlich? Und müsste man Produktion nicht ganz anders noch einmal diskutieren, und müsste man nicht im Bezug auf den historischen Konzeptualismus auch so etwas wie eine Produktionstheorie entwerfen oder mal versuchen so eine Art Produktionsästhetik zu beschreiben, etwas, was im Minimalismus und in der Pop art noch sehr viel präsenter war und dann in der konzeptuellen Kunst auf merkwürdige Weise komplett abwesend war.

[…]

S.R.: Okay, wenn du jetzt noch mal den Faden mit dem Produktionsbegriff bei der Konzeptkunst ausführst.

S.B.: Kurz und gut, das Interesse, den historischen Konzeptualismus noch einmal parallel zu spezifischen Medientechnologie-Diskursen zu lesen, war für mich mit der Fragestellung verbunden: müsste man nicht dann doch noch mal die Kategorie der Produktion oder der Produktionstheorie (Produktionsästhetik) sich im historischen Konzeptualismus angucken – meiner Meinung nach eine Kategorie, die nicht ausreichend bisher – man will sich ja immer positionieren und meint ja immer, die Lücke und den blinden Flecken in der Forschung entdeckt zu haben – die noch nicht so ausreichend diskutiert worden war. Da habe ich mich so zu sagen darauf gestürzt und versucht, das in meiner Arbeit zu diesem Thema mal so ein bisschen aufzudröseln und zu fragen, was könnte das eigentlich sein?

S.R.: Sollen wir da mehr in die Tiefe gehen?… Wie bist du methodisch vorgegangen? Hat dich das mehr interessiert als Vergleich zwischen den verschiedenen historischen Positionen oder hat dich das auch interessiert ausgehend von den neoliberalen Entwicklungen in den letzten Jahren?

S.B.: Das ist eine gute Frage und das war auch wirklich das Problem für mich beim Schreiben dieser Arbeit, dass ich einerseits angesichts dessen, was sich so in den 90er Jahren dann herauskristallisiert hat, also diese ganze Diskussion um die Inkorporierung von Werkformen des Konzeptualismus in eine neue Unternehmenskultur, was ja durchaus auch eine ganz signifikante Diskussion ist – das war auf jeden Fall für mich eine Fragestellung, wieweit so eine Immaterialisierung – dieses Wort ist ja an sich schon so problematisch aber nehmen wir es jetzt einfach mal aus taktischen Gründen – von Produktion durchaus eben dem entspricht, was heute „immaterielle Arbeit“ bedeutet – in aller Ambivalenz des Wortes, einerseits in dem Sinne, dass es ja in einer produktiven Weise beispielsweise von Toni Negri und Michael Hardt konzeptualisiert worden ist in ihrem Buch “Empire”, […] gerade drum und deswegen müssen wir auf den Begriff oder Realität der immateriellen Arbeit setzen, und auf der anderen Seite zu sagen, dass eine informations- und kommunikationsbasierte oder -orientierte Produktionsweise ja genau eben auch dem globalen Kapitalismus in all seinen Spielarten, Neoliberalismus usw. eben auch entspricht. Sich diese Dynamiken anzugucken, das war einerseits ein Einsatz für meine Arbeit, zu sagen, daraus ergibt sich auch ein aktuelles Erkenntnisinteresse, und auf der anderen Seite zu sagen: sind diese Diskussionen eigentlich so neu? Ich finde es ja immer ganz wichtig, wenn man historische Arbeiten schreibt, dass man aus der Geschichte auch die Gegenwart etwas relativiert und zu sagen: Auch wenn die Begrifflichkeiten damals nicht so waren, wie wir sie heute verwenden, hat es aber durchaus auch schon solche Problematisierungen gegeben, auch in den 60er, 70er Jahren hat es solche Problematisierungen schon gegeben, also ökonomietheoretische Kritik oder Technologiekritik, auch eine Kritik, bei Alberro kommt das ja sehr stark vor, an einer bestimmten Entwicklung von Künstlertypen, die eher zu Selbstmanagern und zu Vertretern in eigener Sache werden, du hast es ja in deinem Originalitätstext noch mal in Bezug auf Alberro aufgegriffen, wie über die starke Inszenierung der Künstlerpersona so etwas wie Signatur durchaus sich in konzeptuelle Diskurse wieder eingeschrieben hat. Es sind Fragestellungen, die durchaus nicht neu sind, die man heute anders diskutiert, aber auf der anderen Seite, was mich dann auch manchmal ein bisschen stört an so starken und sehr kritischen Revisionen ist, das, was damals verhandelt worden ist und zur Debatte stand, dass das manchmal so stark negativ vereindeutigt wird. Die sind auch erstmal in eine bestimmte Richtung vorgeprescht und haben versucht, eine Antwort auf die Medienkultur zu finden und sich darin zu positionieren und zu sagen: klarerweise hatte man die Schnauze voll davon, nur in Galerien und Museen auszustellen, das war auch nicht mehr so ein cooles, sexy Ding zu der Zeit. Und es gab auch Gründe, diese Institutionen als Agenten der bürgerlichen Kultur anzugreifen und da gab es durchaus ernsthafte Positionen, die das getan haben – nur, dass sie sich sozusagen auch unfreiwillig oder auch willentlich, wie man von mir aus auch immer Kosuth sehen will – Ich will mich nicht so an Kosuth festbeißen – dass sie sozusagen in eine unfreiwillig-willentliche Komplizenschaft mit […] einer ganz anderen Form des Kapitalismus geraten sind, das ist die andere Seite. Ich finde es sehr schwierig, das rückwirkend immer wieder zu romantisieren und so positiv zu vereindeutigen, ich finde es aber auch sehr schwierig, retrospektiv das so negativ zu vereindeutigen. Wichtiger finde ich wirklich, an den Ambivalenzen, an den Widersprüchlichkeiten, an der Transversalität dessen, was es auch damals war, zu versuchen, einen Kunstbegriff aufzubrechen, wo es auch wichtig war, ihn aufzubrechen – also im Sinne von Originalität, im Sinne von Einzigartigkeit, im Sinne von Autorschaftsbegriffen, im Sinne einer mangelnden Reflexion von Rezeptions- und Präsentationsweisen und -formen. All diese Dinge sind ja super, was da passiert ist, auch die Berücksichtigung dessen, was Sprache bedeutet […]. Nun weiß ich nicht so ganz genau, ob es so die Richtig geht, die ich jetzt versuche darzulegen, die dich weiter interessiert. Vielleicht kannst du da noch einmal einhaken. Und in deinem Sinne noch mal nachfragen.

S.R.: Du umschreibst jetzt quasi schon genau so den Einschnitt, wenn man in Einschnitten denkt, wie der frühe Foucault, dann würde ich sagen, dass genau nach dieser Phase von Pop, durch Warhol und einige andere vertreten, durch Minimal, wo ein ganz starker Bruch mit einer gewissen ikonischen Ästhetik stattgefunden hat, in der Konzeptkunst dann einige Elemente zusammenfließen, die irrsinnig historisch auf den Punkt kommen, und wie sie auf den Punkt kommen natürlich auch in einer Drastik vorgeführt wurde, wie sie einerseits für einen Teil des Kunstfeldes vielleicht beängstigend war, und andererseits für mich, aus meiner Perspektive, sehr einflussreich für ein weites Feld der Kunst in der Gegenwart ist. Und da könnte man ja zum Beispiel auch ansetzt, um noch mal diesen Produktionsbegriff zu hinterfragen. Inwiefern du ein bewusstes, reflektiertes Aufgreifen dieses neuen Produktionsbegriffs, der sehr viel mit Theorieauseinandersetzung bringt, der sehr viel mit Verbalisierung bringt, natürlich vor allem auch mit anderen Medien, also nicht so sehr den traditionellen Medien, wie das auf zeitgenössische Entwicklungen, auf zeitgenössische Praktiken reflektiert wird.

S.B.: Das ist eine sehr komplexe Fragestellung. Ich versuch das jetzt erstmal, soweit ich das für mich darstellen kann, aufzugreifen. Was speziell den Produktionsbegriff betrifft in Bezug auf das, was es heute immer noch bedeutet, in welchen Praxis- oder Denkformen es immer noch präsent ist oder sein könnte, da würde ich sagen sind ja mehrere Dinge von Bedeutung. Das eine ist, dass von einem Produktionsbegriff in einem starken, Waren produzierenden Sinn ja keine Rede mehr sein kann, sondern eine Verschiebung des Produktionsbegriffs stattgefunden hat auf klassische Bereiche der Reproduktion: Sprache, Köper, […] auch Fragen kultureller Identität, wie es dann im lateinamerikanischen Kontext ganz wichtig war, oder durch den feministischen Diskurs, der ja in enger Korrespondenz stand und steht eben auch mit konzeptuellen Denk- und Praxisformen, Fragen der Bewertung von harter, Waren produzierender Produktion und weicher Reproduktion im Sinne von Kindererziehung, Familie, soziale Dienstleistungen. Da haben verschiedene Künstler/innen massiv dran gearbeitet, diese Wertesysteme, die daran hingen, zu überarbeiten – Mary Kelly beispielsweise, indem sie versucht hat, mit Linguistik, mit einem kritischen Bezug auf Psychoanalyse, mit einer klaren Analyse von Produktionsverhältnissen in Bezug auf die Abwertung klassischerweise von Bereichen der Reproduktion, mithin eben auch Fragen wie kommen Künstlerinnen überhaupt im Kunstmarkt vor, mit und ohne Kinder?… All diese Sachen. Dass sich plötzlich ein weites soziales Feld aufgespannt hat, in dem der Produktionsbegriff quasi neu verhandelt worden ist. Aber damit war, glaube ich, der Bezug nicht gänzlich gekappt, eben auch auf Kategorien der Warenproduktion. Nur die Warenproduktion hat ja ihrerseits wieder eine Verschiebung erfahren – also wenn beispielsweise Baudrillards frühe, durchaus noch interessanten Theoretisierungen […] in „Der symbolische Tausch und der Tot“, wie er beschreibt, dass die Warenproduktion und -zirkulation durch Formen der Zeichenproduktion und -zirkulation überlagert wurde. Nun, das ist ja nicht neu im Diskurs. Das ist auch in der Rezeption der Konzeptkunst oder in der Konzeptkunst selber schon verhandelt worden. Das ist das eine, und das andere ist, wenn man sich beispielsweise, und das war mir auch sehr wichtig, den lateinamerikanischen Diskurs anguckt, man ja schon sehr stark einen diskursanalytischen oder theoretischen Produktionsbegriff am Werk sieht, der ja viel von dem vorweggenommen hat, was wir heute als Cultural Studies diskutieren. Zu sagen, im Sinne Foucaults – ob sie sich jetzt auf Foucault bezogen haben oder nicht, es ist ja eher interessant, dass sie es eher in ihrer Weise und in ihren Kontexten so diskutiert haben – zu sagen: Ökonomie ist nicht die Basis, dem die Kultur als Überbau folgt, sondern Kategorien des Körpers, der Familie, der Nationalität, der kulturellen Identität, des Kolonialismus – dies alles sind Dispositive, die ihrerseits produktiv sind. Es ist sozusagen ein Produktionsbegriff zweiter Ordnung, und das entspricht ziemlich exakt dem, was der Strukturalismus bzw. der Poststrukturalismus oder auch die Semiologie diskutiert hat, und bei der Semiologie kann man sehr deutlich sehen, dass sie sehr einflussreich war oder zumindest auch korrespondiert hat mit konzeptuellen Werkentwürfen und Denkweisen. Also wenn man daran denkt, dass 1967 in der Zeitschrift „Aspen“ der Text von Roland Barthes, „Der Tod des Autors“, „The Death of the Author“, zum ersten Mal überhaupt veröffentlicht wurde und zwar auf Englisch in einer Ausgabe, die Brian O’Doherty herausgegeben hatte, wo „Serial Project“ von Sol LeWitt dabei war, wo ein Verweis auf Mallarmé dabei war, wo ein Verweis auf Duchamp dabei war usw… – dass es plötzlich wie so eine Art semiologischer Verschiebung des Produktionsbegriffs auch in hegemonialen konzeptuellen Diskursen, die ja damals erst im Entstehen waren, und man dass zeitgleich wie man im lateinamerikanischen Kontext sehen kann, vielleicht sehr viel stärker in dem Sinne, was wir heute, wie ich ja schon gesagt habe, als Cultural Studies ansehen. Das war für mich interessant, dieses Nebeneinander von Verschiebungen zu sehen, die aber zu völlig unterschiedlichen künstlerischen Entwürfen geführt haben. Wenn man sich das ästhetisch anguckt, dann denkt man, so eine Installation wie […] die von Helio Oiticica “Tropicália”, die ja auch im Kontext heute der Rezeption von dem historischen Konzeptualismus diskutiert wird – das kann man einfach mit so jemandem wie Sol LeWitt überhaupt nicht vergleichen.

S.R.: Vielleicht ist auch das Interessante und das Komplizierte gleichzeitig an der Konzeptkunst, dass einerseits die Praktiken, so wie du es gerade geschildert hast, eine Vielfalt von Brüchen und Ansätzen mit der traditionellen Historie, der Geschichte der Kunst darstellen, andererseits aber auch der Begriff der Konzeptkunst, wenn man wirklich jetzt sagen würde, es gibt diesen historischen Bruch und wir können ihn nicht auf eine Praxis oder fünf Praktiken festnageln, dass dieser Begriff der Konzeptkunst an sich ja schon so disparat und so unterschiedlich eingesetzt und diskutiert wurde, dass das ja schon eigentlich sich ausschließt, dass man diese Leute als eine Bewegung oder eine Formation begreift.

S.B.: […] Ja, ich denke, dass die Debatten, die um diesen Begriff von Anbeginn an eigentlich geschwebt haben, und die Debatten, die diesen Begriff mit geprägt haben, dass die gewissermaßen eine konstitutive Voraussetzung dafür sind, dass man überhaupt von konzeptueller Kunst in dem Sinne […] spricht. Ich glaube, es bedarf dieser Streitigkeiten und Auseinandersetzungen. Das finde ich aber auch so super interessant. Ich finde diese Konflikte könnten noch viel pointierter sein, und die machen den ganzen Wahnsinn aus, der damals ja auch getobt hat. Natürlich gab es eine Verständigung darauf: Hey, Künstler/in, wir müssen uns zusammen tun, wir müssen andere Strategien entwickeln, um im und gegen den Markt zu bestehen. Das ist sozusagen die gute Konkurrenz, die da etabliert worden ist, aber gleichzeitig war dieses Motiv der Konkurrenz auch ganz wesentlich in diesen ganzen Streitigkeiten, die sich ja bis in die Rezeption weiter ziehen: die einen, die sich auf Kosuths Seite, und die anderen, die sich auf Sol Lewitt… und wer war denn als erster da? […]. Und dann gibt es wieder andere, die sagen, dieser Begriff ist vollkommen untauglich. Die anderen sprechen von Bewegung. Dann wird doch wieder mit Stilelementen diskutiert. Ich finde es als Konflikt interessant, und an diesem Konflikt lässt sich so viel ablesen. Das habe ich versucht zu verbinden mit einem Konflikt über das, was könnte eigentlich künstlerische Produktion heißen, gelabelt mit so etwas wie konzeptueller Kunst, und dann wäre eben auch die Frage, ob dieser Begriff auch deswegen Bedeutung erlangt hat, weil damit dann plötzlich auch internationale Ausstellungen bestückt wurden, dass damit plötzlich auch ein neues Paradigma behauptet werden konnte, wovon aber die meisten dann gleich wieder die Schnauze voll hatten und sich wieder distanziert haben. Aber all diese Identifikationen und Distanzierungen gehören für mich dazu, und das macht für mich auch die Interessanz des Phänomens aus.

S.R.: Vielleicht knüpfe ich noch mal da an: Du hast ja jetzt schon aufgefaltet, in welchen Fragestellungen in der Gegenwart wir eigentlich gar nicht anders können, als uns irgendwie reflexiv darauf zu beziehen, was die Konzeptkunst aufgerissen hat. Vielleicht wäre es nochmal interessant punktuell darauf einzugehen… in der Gegenwart, wo sich, außerhalb der historischen Künstler, die vielleicht ja auch teilweise ein bisschen nicht mehr so interessant sind – ich will es jetzt mal vorsichtig ausdrücken, die sind ja zum Teil auch sehr gesettelt und reproduzieren sich ja auch, aber das will ich jetzt gar nicht als Vorwurf formulieren – sondern vielleicht könnte man noch mal so ein bisschen rauskitzeln, wo diese Ansätze jetzt wieder virulent sind oder werden, in diesem Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft, Kunst und Produktionsbegriff.

S.B.: Also, ich muss noch mal kurz nachhaken: Wo konzeptuelle Ansätze oder […] im Bezug auf die Produktion?

S.R.: Würde ich dir freilassen. So wie du es erklärt hast, habe ich es verstanden, dass diese Frage der Produktion ja sehr essentiell und basismäßig war und in verschiedenen politischen aber auch ästhetischen Diskursen in der Gegenwart wieder auftaucht. Also könnte man beides verfolgen.

S.B.: Das ist eine fast zu globale Frage, auf eine Weise, denn – man kann ja sagen, selbst in malerischen Ansätzen oder in sehr stark objektorientierten Ansätzen hat man das Erbe der Konzeptkunst irgendwie mit verarbeitet – also diese ganze Autor-, Rezeptions-, Distributionsdebatte, die ja auch nicht genuin nur durch die Konzeptkunst hervorgebracht wurde, aber die sie zumindest verstärkt hat oder ausdifferenziert hat, die ja durchgegangen ist durch eine Phase, die man vielleicht grob mit „Dekonstruktion“ umschreiben könnte oder wo auch tatsächlich noch mal Semiotik und Semiologie stärker verhandelt worden sind, wie in den 80er Jahren im Zusammenhang mit der Appropriation Art, da kannst du ja besser drüber reden als ich, die durch diese ganzen Phasen durchgegangen sind, die einen rigiden Autor- und Objektbegriff immer und immer wieder durchbrochen haben. Denn wie die Dynamik des Kunstbetriebs und des Kunstmarktes ja zeigt, kann man das noch so sehr in Frage stellen, das sind ganz hartnäckige Kategorien, und eine Überwindung ist schon – angesichts dessen, dass du dich als Künstler/in im Markt behaupten musst, ja ein ganz schwieriges Unterfangen, und trotzdem gehen ja auch Künstler/innen auch ganz gezielt auch sehr fein, beispielsweise wie Louise Lawler, und das ist eine Konsenskünstlerin in unserem Zusammenhang, gehen dann damit auch weiterhin um. Aber es gibt auch malerische Positionen, die damit umgehen. Ich glaube, diese Vorstellung, Konzeptkunst hat was damit zu tun, drei oder vier kluge Sätze auf einen Zettel zu pinnen und das an die Wand zu hängen, oder eben solche tautologischen Modelle wie Kosuth –, die sind […] nicht unbedingt der Diskurs des Tages, auch wenn das immer wieder auftaucht. Aber auch als Korrektiv. Man kann ja Künstler beispielsweise wie Michael Krebber sehen, der ja durchaus auch in dem Zusammenhang einer Galerie, die sich ja auch für postkonzeptuelle Strategien und Werkentwürfe stark gemacht hat, also Nagel in dem Fall, dass Michael Krebber jemand war, der wieder die Seite der Malerei gestärkt hat, aber er hat das immer in einem konzeptuellen Sinn gemacht. Und die letzte Ausstellung, die ich hier bei Nagel in Berlin gesehen habe, da hat er Zeitungen an die Wand gehängt und hat mit klassischen ästhetischen Präsentationsweisen des Konzeptualismus gearbeitet. Das heißt, die Künstler sind ja auch ständig dabei, sich wieder neu zu positionieren, zu gucken, wann wird etwas hegemonial, wann muss man sich wieder anders positionieren, wie geht man damit um, wann muss man der Malerei wieder eins auf die Schnauze geben, wann muss man wieder sich umpositionieren. Es ist ja auch ein unglaublich hoher Flexibilitätsdruck, der da ist, und der auch dafür sorgt, dass – da würde ich auch jemandem wie Roger Buergel widersprechen, der sagt, die Konzeptkunst ist tot. Da würde ich vollkommen widersprechen. Das stimmt überhaupt nicht. – Das wirkt natürlich weiter fort, aber es nimmt immer wieder andere Formen und entsteht aus anderen Strategien und Positionierungen. Das ist ja ganz klar. Aber es gibt auch ein Problem der Erstarrung von Konzeptkunst. Beispielsweise würde ich dann auch dieses Klischee beladene Wort der „diskurslastigen Ausstellung“ durchaus dann auch in den Mund nehmen, obwohl man aufpassen muss, dass man dann nicht den falschen Freunden zulächelt. Wo man das Gefühl hat, da wird konzeptuelle Kunst […] als Ausweis […], als Garantie für eine kritische Haltung genommen. Wenn dann Sprache noch und möglichst ein kritischer Text irgendwie an der Wand hängt und irgend so ein konzeptuelles Ding da in der Gegend rumsteht, dann wird das schon für kritisch gehalten – das ist natürlich lächerlich. Das entspricht […] ja durchaus auch einem bestimmten ästhetischen Bedürfnis und interessiert mich nicht so stark. Und dann gibt es natürlich Fortführungen wie die – ich meine ich liebe Helio Oiticica beispielsweise seine Installationen oder auch seine Quasi-Cinemas, das ist echt Kult – die viel von dem vorweggenommen haben, was in den 90er Jahren in Installationskunst passiert ist, nämlich die Semantisierung des Ausstellungsraums. Und das hat er früh gemacht und er hat den Begriff der Metapher wieder eingeführt zu einem Zeitpunkt, da war der in der Konzeptkunst mehr als out […], und da kann man zum Beispiel auch, wie das dann Craig Owens später getan hat, eben mit Verfahren der Allegorese argumentieren und in einem sehr viel expliziteren Sinne, als dass das in anderen konzeptuellen Arbeiten der Fall war. Diese Art der Semantisierung von Ausstellungsräumen, das kann man doch heute ziemlich gut sehen, dass das […] sehr präsent ist.

S.R.: Ich bin eigentlich sehr dankbar, dass du jetzt diese verschiedenen zeitgenössischen Strömungen noch einmal aufgefächert und aufgegriffen hast, denn es ist ja – und das hab ich auch sehr stark gesammelt und beobachtet – in den letzten Jahren in Presseerklärungen […] zum Standard geworden, dass man als aufwertendes Element erwähnt, dass der konzeptuelle Ansatz oder die konzeptuelle Verfahrensweise, die konzeptuelle Vorgehensweise […] auf alle Medien, auf alle Ansätze, auf alle Formen von Kunst eigentlich wie so ein Gütesiegel draufgeprägt wird, direkt schon von Anfang an, um zu sagen, hier geht es nicht nur um gute Bilder, um ausgefeilte Bildstrategien, um ikonografische Referenzen, sondern hier geht es auch um intellektuelle Zusammenhänge, um quasi von vornherein zu implizieren, „Jetzt müsst ihr auch nachdenken!“ Wie siehst du dieses Siegel? Da könnte man jetzt auch diese Aussage von Buergel jetzt auch dagegensetzen, dass er auch versucht, das so ein bisschen zurückzudrehen.

S.B.: Ich kann dir da nur beipflichten. Ich finde es auch langweilig und völlig pointless und bin da auch so ein bisschen ermüdet, was solche ästhetischen Sprachen betrifft. Hab keine Lust drauf. Und weiß auch, was es bedient, aber sehe auch, dass es in einem bestimmten Segment des Kunstmarktes eine Rolle spielt, der wirklich auch so ein bisschen abgetrennt ist zu den großen Deals, die da gemacht werden. Und das sind dann wiederum eben nicht unbedingt explizit emphatisch-konzeptuelle Formen, sondern da geht es doch manchmal um einen ziemlich verblödeten Objekt- oder Malerei- oder Bildbegriff. Da muss man wieder unterscheiden, das sind aber zum Teil auch Erscheinungsformen, die nicht mal so von Belang sind. Die muss man nicht mal so angreifen, weil so eine große Rolle spielen sie dann am Ende in der Logik des großen Kunstmarktstils auch wieder nicht. Aber trotzdem machen sie auch ein bisschen was kaputt, wo man sagen müsste, man müsste dem hegemonialen Kunstmarkt auch etwas entgegensetzen mit einer Praxis, die doch ein bisschen schlauer und klüger damit umgeht und eben so eine Art von: Hauptsache der konzeptuelle, kritische Gestus draufgeknallt, der dann wie so ein Fetisch vor sich hergetragen wird […]. Das ist einfach langweilig.

S.R.: Ein Komplex würde mich noch interessieren. Wir haben ja schon über die theoretische Paradigmen gesprochen von der Konzeptkunst und wie die sich entwickelt haben und zum Teil in unseren Diskussionen sich entwickelt haben. Glaubst du, dass so ein Shift, eine konfrontative Auseinandersetzung mit einem Kunstfeld überhaupt noch einmal möglich ist, so stark, oder glaubst du dass sich alles so hybridisiert hat, dass man so einen Schnitt, so eine Auseinandersetzung nicht noch einmal inszenieren kann?

S.B.: Hybridisiert in dem Sinne, dass man sagen kann, die so genannten kritischen Positionen, Verfahren, Haltungen sind derartig schon aufgesogen, dass man auch gar nicht mehr so ganz genau verorten kann, wo sind Möglichkeiten, Standpunkte der Kritik, wen greift man eigentlich an, wo steht der Lieblingsfeind? Das ist mit Sicherheit ein Problem, weil ich glaube, so ein komischer Pluralismus ziemlich viel nivelliert hat. Das ist sicherlich auch ein Problem dessen, wo wir selber involviert sind, wo wir gestern in unserem Gespräch über politische Projekte der 90er Jahre gesprochen haben, dass man am Anfang relativ harsch, rigide, orthodox aufgetreten ist, um dann zu sehen: Hey Leute, so geht es nicht. Das führt nur zu falschen Polarisierungen. Auf der anderen Seite waren solche Setzungen, wie Katja Jedermann ja auch richtig bemerkt hat, notwendig, um erstmal so eine Auseinandersetzung zu provozieren. Zu sagen, wir sind nur nett und wir wollen eigentlich nur ne Offenheit, ihr sollt alles machen, provoziert natürlich auch keinen Konflikt und endet vielleicht auch in einer gegenseitigen Harmonisiererei, die ja auch nicht der Realität des Marktes entspricht. Ich würde behaupten, natürlich ist diese konfrontative Auseinandersetzung natürlich Institutionskritik, würde das überhaupt nicht aufgeben, es gibt da total viel zu tun, und auch wenn sich bestimmte Formen in eine problematische, sich dem Gegenstand der Kritik anschmiegenden Weise aufgelöst haben, muss man eben wieder neu ansetzen, neue Punkte finden, um zu sagen: vorne geht’s weiter. Dafür würde ich schon plädieren und ich glaube, da gibt es jede Menge zu tun, und ich halte das überhaupt nicht für gestorben. Da hätte ich auch überhaupt gar keine Lust auf eine Art von Pessimismus, der sich auch die Arbeit der Analyse nimmt, und auch einer vielleicht etwas aufwendigeren Analyse, als die die sich ständig immer wieder am Paradigma der Kulturindustrie oder am Paradigma der Spektakelindustrie abzuarbeiten. Da scheinen die Linien irgendwie klar zu sein. Was ich jetzt beispielsweise mit Leuten wie Helmut Draxler, der sich ja auch viel mit Konzeptkunst, gerade auch viel mit Kontextkunst, Institutionskritik, oder mit Stephan Geene, der sich auch viel mit Technologiekritik im Zusammenhang mit Konzeptkunst beschäftigt hat, wir machen ein Projekt an der Jan van Eyck-Akademie in Maastricht, wo es um die Frage geht, wieweit könnte man bestimmte Avantgarde-Strömungen Ende der 60er Jahre, Anfang der 70er Jahre… weil uns interessiert die vor-revolutionäre, die revolutionäre und die post-revolutioneäre Zeit, wie sich das ineinander verschraubt, wieweit man bestimmte Avantgarde-Momente, bei aller Relativierung, die die Avantgarde damals erfahren hat, aus guten Gründen, aber in Bezug setzen zu Paradigmen dessen, was Michel Foucault als „Biopolitik“ bezeichnet hat. Die Avantgarde-Theorie Peter Bürgers einfach mal umzudrehen und zu sagen, ja, kann schon sein, dass die historischen Avantgarden im Kontext der Neo- und Post-Avantgarden […] sich institutionalisiert haben und ihre gesellschaftskritische Ausrichtung verloren haben und vielleicht die Kunst so ein bisschen verändert haben, aber an gesellschaftlichen Verhältnissen nichts. Also diese Scheiter-Theorie mal in Frage zu stellen und zu sagen, vielleicht waren die Avantgarden, damit meine ich aber nicht nur die Konzeptkunst, sehr viel erfolgreicher, als das Peter Bürger überhaupt sehen kann, in dem Sinne, wie Michel Foucault das beschrieben hat, dass diese Forderung der Überschreitung der Grenze von Kunst und Leben, die ja durchaus nicht alle Künstler/innen der Konzeptkunst geteilt haben, da gibt es ja auch sehr unterschiedliche Positionierungen, dass diese Forderung im Sinne des Lebensgebots, der Affektproduktion, der Authentizitätsproduktion passiert ist. Was ja in gewisser Weise auch ein bisschen was mit deinem Originalitäts-/Fake-Ansatz zu tun haben könnte. Es ist sehr viel komplizierter. Auch in dem Sinne. wie Foucault das beschrieben hat, war es eben kein Herr-Knecht-, Oben-unten-, Herrscher-Unterdrückter-Verhältnis, sondern diese Machtverhältnisse gehen durch unser aller Körper, unsere Emotionen, die sind überall. Das heißt aber nicht, dass man sich damit nicht auseinandersetzen kann und muss, um vielleicht mal die Avantgarde in dem Licht zu betrachten und zu sagen, Biopolitik ist vielleicht das viel brisantere Problem, und dagegen ist vielleicht das Phänomen der Institutionalisierung oder der Spektakelgesellschaft, so ernst ich das nehme, aber vielleicht der kleinere Fisch. Das noch zu überbieten, aber in einem anderen Sinne und zu sagen da gibt es wahnsinnig viel zu tun. Und da sind ja auch schon ein paar Leute dran. Wir haben es ja auch nicht erfunden, das diskutieren schon andere, Pamela Lee beispielsweise in ihrem Text „Bare Lives“. Da gibt es ja schon Vorstöße, und das finde ich total interessant. Und bis zur Rente geht da noch was.

S.R.: Vielen Dank. Wir haben am Schluss immer die Frage, irgendwas, was du unbedingt noch sagen willst, was dir wichtig wäre, ob das persönlich ist, bezogen auf den Film oder die Konzeptkunst?

S.B.: Was Persönliches… Nee, fällt mir jetzt nichts ein. Das wird bestimmt verklemmt. [lacht]

S.R.: Okay, vielen Dank.