1. Introduction / Einleitung
In dem digitalen Archiv Conceptual Paradise finden sich folgende Texte:
Folgende Texte erwarten Sie hier im Webarchiv:
– »On my Way to Conceptual Paradise« habe ich 2006 zur Präsentation des Films verfasst, um meine Definition des Konzeptualismus in Relation zum Filmprojekt zu formulieren.
– »Zur Konstruktion zeitgenössischer Vielstimmigkeit« entstand zwei Jahre später, um meine Form der Interviewführung und deren Verhältnis zur Filmkonzeption deutlich zu machen.
– »Wie dreht man einen Dokumentarfilm ohne Kamera und ohne Interviewpartner*innen? – Anekdoten vom Filmdreh« (2020) resümiert aus heutiger Perspektive das Filmprojekt anhand von Anekdoten, die während der Filmrecherche geschahen.
– 13 sehr unterschiedliche Texte, die ich zur Planung der Filmaufnahmen und als inhaltliche Orientierung für das Filmteam verfasst habe.
Es ist nun 14 Jahre her, dass der Film Conceptual Paradise (109:30 min.) im Dezember 2005 im Black Box Kino in Düsseldorf Vorpremiere hatte. Von der ersten Idee im Jahr 2002 über die Antragstellung und die Bewilligung der Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes 2003 bis zur Festivalpremiere auf dem Filmfest in Kassel 2006 sind also vier Jahre vergangen. Anschließend wurde ich zu Filmpräsentationen nach Australien, Schweden, Thailand, Kanada und Indien eingeladen; der Film wurde noch in vielen anderen Ländern gezeigt. Bis in die Gegenwart besteht eine internationale Nachfrage.
Voranstellen möchte ich die Idee meines Films, die sich auf mehrere Ebenen bezieht: Der Film soll gleichzeitig Dokumentation der historischen konzeptuellen Kunst, Reflexion über Filme, die sich mit Kunst beschäftigen, sowie selbst eine de-konzeptuelle künstlerische Arbeit darstellen.
Mit dem Film evoziere ich die Diskussionen, die die Conceptual art in den 1960er Jahren begonnen hat und die einige der relevantesten Fragestellungen für die zeitgenössische Kunst entwickelt haben. Es wird deutlich, dass es sich bei der konzeptuellen Kunst um eine Formation handelt, die sich einer kohärenten Definition entzieht. Dabei ist auch die Geschichte dieser Kunst von Kämpfen um Repräsentationsstrategien und Hegemonien gezeichnet. In den Diskussionen um die künstlerischen Ideen zwischen den Künstler*innen und Kunsttheoretiker*innen wird eine kulturpolitisch wichtige Auseinandersetzung lebendig. Diese zum Teil erbitterten Debatten sind typisch für den Diskurs der konzeptuellen Kunst, legen aber auch ein Fundament für philosophisches und kunsttheoretisches Verständnis der Gegenwartskunst. Man kann so weit gehen zu behaupten, dass es sich vor allem dann um konzeptuelle Kunst handelt, wenn sie sich an diesen Debatten beteiligt. Darüber hinaus bezeichne ich mit dem Begriff der konzeptuellen Kunst vor allem jene Praktiken, die explizit die Bedingungen des kulturellen Kontexts und der künstlerischen Produktion reflektieren sowie die jeweiligen erkenntnistheoretischen Methoden überdenken – in diese Diskussion wurden die Begriffe der historisierenden neo-, para- oder post-konzeptuellen künstlerischen Praktiken einbezogen, die ich einer dekonstruktiven Lektüre unterziehe, um den Begriff des Dekonzeptuellen zu entwickeln.
Der Film reflektiert das eigene Medium der Dokumentation und des Essays in mehreren Exkursen mit dem bekannten deutschen Filmemacher Hartmut Bitomsky. Somit setzte ich mit Conceptual Paradise meine analytische Auseinandersetzung mit Formen und Erzählweisen der künstlerischen Dokumentation fort.
Ich gehe davon aus, dass keine Kunst ohne Medien oder irgendeine Form der Materialisation – sei es Schrift, Zeichnung, Gesprochenes oder was auch immer – vermittelt werden kann. Allerdings haben konzeptuelle Künstler*innen über eine mediumistische Übertragung von Kunstwerken spekuliert und die Rhetorik der Dematerialisation stellt eine spezifische Form der Kunstkritik dar. Aus all diesen Gründen habe ich mich beim Projekt Conceptual Paradise eine doppelte mediale Strategie angestrebt: Der Film formuliert meine eigene Sicht der Diskussion um die Conceptual art, während das hier vorgestellte Archiv alle Interviews und Transkripte dem Publikum zur Recherche offeriert.
Beides zusammen bildet das Ergebnis meiner vierjährigen künstlerischen Forschung, wobei ich die Bewegung des Artistic Research selbst genealogisch zum Konzeptualimus assoziiere, wie sie sich historisch parallel zur Produktion meines Projekts artikulierte.
Die folgenden Überlegungen bilden den Kontext für die Erstellung dieses digitalen Projektarchivs.
Seit meinen Ausstellungen »Das Frösteln vor der Zukunftsblindheit« (gemeinsam mit Helmut Weggen, Köln 1991) und »Mixed Up Images – Stichpunkte einer Recherche zu MultiKulti-Darstellungen« (beim Kongress: Mixed Up. Multiculturalism and Popular Culture, Köln 1996) basiert meine künstlerische Praxis zumeist auf projektbezogen entwickelter künstlerischer Recherche, wozu ich die Korrespondenz zu dem von mir initiierten, sozialaktivistischen Künstlerkollektiv »FrischmacherInnen« und deren Aktionen und Veranstaltungsreihen (Köln, 2003-2010) betonen möchte.
Meine Arbeiten sind für eine kritische Verbindung von unterschiedlichen Medien bekannt. Sie kombinieren praktische und theoretische Methoden, die ich aus der Erforschung des Konzeptualismus entwickelt habe: visuelle, musikalische, räumliche, zeitbasierte und performative Praktiken. Dabei geht es mir um eine kritisch dekonstruktive Auseinandersetzung mit der Epistemologie der Kunst und der Neuen Medien, womit ich auf eine soziale und politische Involvierung ziele – vor allem auch durch den exzessiven Einsatz von Schrift in meinen filmischen Arbeiten.
In meiner künstlerischen Forschung erprobe ich experimentell einen transmedialen Ansatz mit postpanoptischem, feministischem und postkolonialem Fokus, den ich „dekonzeptuell“ nenne. Dies basiert auf Michel Foucaults Diskursanalyse des Panopticons, aus der Gilles Deleuze eine Diagrammatik entwickelte. Meinem künstlerischen Film geht es darum, diesen Theoriekomplex einzubeziehen. Daraus resultiert u. a. eine Unterscheidung zwischen dem zweidimensionalen, historischen Bildmodell des »Tableaus« (seit dem 19. Jh.) und dem zeitgenössischen Bildmodell des »Online-Screen«, das u. a. die soziale Interaktion auch als inter-räumliche Performanz einbezieht. Diese Differenzierung der Bildparadigmen ist mir wichtig, denn sie steht in Relation zu einer neuen Form medialer, raum-zeitlicher Repräsentation, die sich seit etwa dem Jahr 2000 etabliert.
In diesem kollektiven Rahmen habe ich meine künstlerischen Erfahrungen auf politisch engagierte und thematisch motivierte Veranstaltungen angewandt, darunter Diskussionen, Filmreihen und auch Demonstrationen im öffentlichen Raum. Meine Arbeiten waren von der »Konstruktion von Situationen« (S. I.) motiviert und beziehen sich auf Gilles Deleuzes Text »Postskriptum über die Kontrollgesellschaften« (dt. 1993). In diesem Text wird der für den White Cube der Kunst entscheidende Paradigmenwechsel vom Panopticon (Michel Foucault) – basierend auf dem Modell der weißen Zelle humanistischer Besserung – zum multimedialen Ambient der (Selbst-) Kontrolle im Amusement markiert. Diesem digitalen Komplex sind neuartige Formen der Kontrolle eingeschrieben, die Deleuze in seinem Postskriptum-Essay untersucht hat, mit dem die neuen Formen der Subjektkonstituierung – des Dividuums – einer Kritik unterzogen werden sollen.
Aus diesen Überlegungen heraus definiere ich meine Ausstellungen mit einem Wandgemälde, das den Raum mit einem umlaufenden grauen Streifen einfasst und somit das Publikum in einem räumlichen Diagramm darstellt. Diese Form des Wall painting setze ich seit 1998 ein (vgl.: Dream City, Kunstverein München 1999; vgl. Beziehungsarbeit – Kunstinstitutionen zwischen Kritik und Kooperation, kur. v. Martin Fritz u. Matthias Klos, Künstlerhaus Wien 2011).
Die performative Dimension der zeitbasierten Medien hat sich im digitalen Zeitalter des Internet dramatisch verändert. Das Performance-Modell, das seit den 1960er Jahren in Europa in Absetzung vom Theater als eine intensiv erlebte, körperliche Ko-Präsenz von Akteuren und Publikum begriffen wurde, gliedert sich seit Ende der 1990er Jahre in die neue mediatisierte, post-panoptische räumliche Sphäre. Diese nenne ich das Ambient. Damit beabsichtige ich, das neue Raumparadigma der Kunst zu bezeichnen: Denn der neutral gehaltene White Cube (Brian O‘Doherty) war darauf ausgerichtet, das einzelne Kunstwerk in seiner Autonomie zu idealisieren. Dagegen zielt das auf den öffentlichen und medialen Raum erweiterte, zeitgenössisch multimediale Ambient auf eine populäre Unterhaltung. Instagram und andere Social Media können nun als mediale Anschlüsse verstanden werden, welche die durchkapitalisierte Überwachungssphäre in eine digitale Pleasure Zone erweitern. Damit kann eine dauernde problematische – oder gar prekäre –, auf Idealerfüllung hin konkurrierende Lebensweise des Werdens – auf der medialen Bühne – konstatiert werden. Das eigene Selbst wird im permanenten Kreuzfeuer zwischen Social Media und Kameras erlebt, von dem auch der Schlaf nicht mehr ausgenommen wird. Dies erfordert transdiziplinäre künstlerische Strategien, die bewusst in diesem neuen Ambient agieren.
Zu jeder Ausstellung und jedem meiner Filme habe ich seit 1990 schriftliche Aufzeichnungen angefertigt. Mein Ansatz besteht darin, dass ich relational zu meinen Kunstprojekten sehr unterschiedliche Rhetoriken im Sinne von Anti/Narrationen in einem Spektrum von Publikationsformen entwickele.
In diesem Sinne habe ich mit meinem Essay »Dekonzeptuelles Coding und Software Art als künstlerische Strategie sozialer Auseinandersetzung« (in: Thomas Düllo, Franz Liebl Hg., Cultural Hacking. Kunst des strategischen Handelns, Wien 2005, S. 102-121) eine Fusion des informatischen und des linguistisch kulturellen Codings vorgeschlagen. In dieser künstlerisch epistemischen Operation manifestierte ich auch meinen Ansatz der digitalen zeitbasierten Medien. Dazu betrachte ich den Code der Kunst als eine variierende Konstellation von Medium, Sichtbarkeit, Sprache, Raum, Zeitlichkeit und Veröffentlichungs-/Rezeptionskontext. Unter den Bedingungen von Gilles Deleuzes »Postscriptum zu den Kontrollgesellschaften« sollten diesbezüglich alle medialen Aktivitäten permanent neu auf ihre disziplinarischen und kontrollierenden Funktionen untersucht und kritisiert werden.
Liste der im Archiv Conceptual Paradise vertretenen KünstlerInnen:
Vito Acconci, William Anastasi, Art & Language (Michael Baldwin, Mel Ramsden), Michael Asher, John Baldessari, Robert Barry, Hartmut Bitomsky, Mel Bochner, Gregg Bordowitz, Daniel Buren, Victor Burgin, Luis Camnitzer, Sheba Chhachi, Jan Dibbets, Mark Dion, Atul Dodiya, Sam Durant, Valie EXPORT, Stano Filko, Andrea Fraser, Liam Gillick, Dan Graham, Renée Green, Shilpa Gupta, Hans Haacke, Anant Joshi, Sonja Khurana, Július Koller, Joseph Kosuth, Jiri Kovanda, David Lamelas, Sol LeWitt, Thomas Locher, John Miller, Christian Philipp Müller, Yoko Ono, Adrian Piper, Yvonne Rainer, Martha Rosler, Allen Ruppersberg, Ed Ruscha, Sharmila Sarmant, Allan Sekula, Vivan Sundaram, Peter Weibel, Lawrence Weiner, Stephen Willats, Heimo Zobernig
Kuratoren und Theoretiker*innen:
Alexander Alberro, Benjamin H.D. Buchloh, Sabeth Buchmann, Charles Harrison, Geeta Kapoor, Geert Lovink, Seth Siegelaub, Gregor Stemmrich
Und die Sammler Dorothy und Herbert Vogel
Im Film sind Klaus vom Bruch, Marcel Odenbach und Res Ingold mit audiovisuellen Beiträgen vertreten.
Die Filmmusik wurde aus Beiträgen von Gustav (Wien) und Vert (Köln) erstellt.
Ein Vorversion dieses Webarchivs von Conceptual Paradise wurde in Form eines Media-Wikis an der Leuphana Universität in Lüneburg erstellt:
Prof. Dr. Ulf Wuggenig (Kulturanalyse) lud mich 2007 an die Leuphana Universität ein, um mit mir und gemeinsam mit Studierenden das digitale Archiv von Conceptual Paradise zu erarbeiten. Deshalb gilt ihm mein besonderer Dank für die außerordentlich bereichernde und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
An dem interdisziplinären Projekt waren von Seiten der Leuphana Universität folgende Personen über mehrere Semester bis 2010 beteiligt: Eva Birkenstock (Kunstgeschichte), Kathrin Busch (Philosophie), Martin Warnke (Digitale Medien) und eine Gruppe Studierender (siehe unten). Das damals vorläufige Wiki-Projekt aus den Bereichen Kunstwissenschaft und Digitale Medien auf dem Uni-Server wurde 2010 mit dem Lehrpreis der Leuphana Universität ausgezeichnet.
Projektseminar mit Studierende aus den Bereichen der Kunsttheorie und der Digitalen Medien der Leuphana Universität in Lüneburg: Marie von Consbruch, Kristin Drechsler, Christa Dziallas, Marina Gerber, Ulrike Gerhardt, Katrin Glinka, Annika Mirja Goretzki, Cora Hansen, Marie Hoop, Ksenia Kuznetsova, Margaretha Kühneweg, Claudia Jochim, Marie Lange, Johanna Liebich, Elena Malzew, Sara Morais, Jenny Nachtigall, Vera Schuhbauer, Stephanie Seidel, Heiko Stubenrauch, Annika Weinert.
Der Film wurde gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes
Erstpräsentation in Kooperation mit dem Museum K21 und Black Box Kino, Düsseldorf
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