Valie Export

Kunsthochschule für Medien, Köln 16.06.2005

S.R.: Was war der stärkste Einfluss auf dich als Person?

V.E.: Ich glaube, der stärkste Einfluss waren sicherlich die Bilder, die Kunstbilder, die ich gesehen habe. Im Gegensatz zu den Bildern vielleicht in der Nachkriegszeit, weil das ganz andere Bilder waren. Und weil man da in den Ruinen herumlaufen konnte oder was. Also ich bin Oberösterreich, in Linz aufgewachsen, wo man in den Ruinen herum laufen konnte – und musste auch zum Teil. Und das war sicherlich die Nachkriegszeit war für mich sicherlich der stärkste Eindruck – während, an die Kriegszeit kann ich mich kaum noch erinnern. Aber dann schon auch einen großen Eindruck hat mir dann gemacht,  ja eigentlich halt die religiösen Darstellungen der Kirche, vor allem der gotischen Kirche im Dom in Linz und die ganzen Rituale, die da abgelaufen sind. Das waren schon ganz starke Eindrücke für mich.

S.R.: Würde es eine bestimmte Praxis in der Kunst geben, wo du sagen würdest: das hat mich beeinflusst? Gibt es da etwas Spezielles?

V.E.: Ja ich glaube schon, dass das die Minimal art war, die Concept art. Dieses mit einem Konzept zu arbeiten, mit der Fotografie zu arbeiten oder mit einem Bild zu arbeiten, das einerseits statisch ist, aber durch die Aufnahmetechnik oder wie man die Dinge aufnimmt, dann nachher Bewegung impliziert.

S.R.: Nun kommt eine etwas andere Frage: Kannst Du sagen, dass es so etwas gibt wie ein Ziel, das du mit deiner Praxis verfolgst, auf das alles hinläuft?

V.E.: Na, ob alles dorthin läuft, das kann man überhaupt nicht sagen darüber, weil man dieses „Alles“ überhaupt nicht kennt. Das lernt man ja im Laufe der Zeit erst kennen – ob es überhaupt ein Alles gibt und auch ein Ziel gibt. Aber wahrscheinlich ist so die Intention jetzt, ja, ohne wirklich „Ziel“ zu sagen, weil ich habe nicht ein Ziel, das ich wirklich erreichen möchte – und was mach ich dann nachher? Dann bin ich durch das Ziel durchgegangen und was ist dann passiert? Dann weiß ich ja nicht mal mehr, wie die Stationen waren und so. Also das würde ich nicht sagen. Aber vielleicht die Intention ist zu erforschen oder zu forschen, was in mir drinnen steckt.

S.R.: Die nächste Frage richtet sich so ein bisschen nach den Grundlagen, mit denen du gearbeitet hast in den 60er – 70er Jahren und dann auch in den Installationen, die danach gekommen sind. Wenn man so etwas wie ein konzeptuelles Paradigma annimmt, würdest du sagen, dass dieses konzeptuelle Paradigma so noch in Funktion ist? Oder würdest du eher dahin tendieren zu sagen, man muss quasi mit jeder Arbeit dieses Paradigma wieder neu für sich erfinden?

V.E.: Naja, du beantwortest die Frage ja eigentlich schon durch die letzte Bemerkung. Natürlich – aber ich fange jetzt noch einmal neu an – aber natürlich muss man mit jeder Arbeit, ja, mit jeder Arbeit die man macht – egal ob das jetzt konzeptuelle Arbeit ist oder ob es eine Zeichnung ist, ob es etwas Narratives ist, etwas Abstraktes ist, ein Film oder was – immer wieder hinterfragen, erstens einmal was man gemacht hat, ob man diese Sache wirklich auch so ausdrücken konnte, wie man sie ausdrücken wollte, wie die Methode ist, zum Beispiel. Das klingt jetzt recht trocken – aber wie ist die Methode, welches Material habe ich eingesetzt, wie arbeite ich mit einem Bild? Also diese Fragen muss man sich natürlich immer wieder neu stellen und stellt sie natürlich auch neu. Das ist jetzt nicht, weil das eine Aufgabe wäre oder etwas. Ich sehe das überhaupt nicht als Aufgabe, sondern man stellt sie – nur so kann ja dann wieder etwas Neues entstehen, weil man die Fragen immer wieder neu stellt oder neu formuliert oder die Analyse neu macht.

S.R.: Es gibt jetzt noch eine etwas persönlichere Frage bezogen auf die Praxis. Und zwar: Wie würde deine ideale typische tägliche Arbeit als Künstlerin aussehen? Gibt es das überhaupt?

V.E.: Also wie würde die tägliche Arbeit als Künstlerin aussehen?

S.R.: Wie würdest du dir die ideale vorstellen?

V.E.: Die ideale Vorstellung, oder was? Na ja, da gibt es ja verschiedene Vorstellungen. Da gibt es die Vorstellung des Traumes, der Fantasie. Oder dann die ideale Vorstellung. Also das ist ja, das sind für mich ganz unterschiedliche Dinge. Weil, eine ideale Vorstellung in dem Sinne habe ich nicht, weil eben, wie schon vorher gesagt, jedes Kunstwerk oder jede künstlerische Arbeit anders ist. Und dadurch ergibt sich immer ganz eine andere Art und Weise zu arbeiten oder etwas zu machen. Da kann man sagen, ja die – eine ideale Vorstellung ist, ich kann in der Früh aufstehen und sofort arbeiten, bis spät nachts. Und ich lebe quer durch Zeit und Raum. Was ich auch Jahre lang gemacht hab, ja. Also ich hab im Badezimmer die Dunkelkammer und im anderen Raum kann ich an Skulpturen oder Objekten arbeiten. Und so habe ich mir selbst Räume geschaffen, die ich immer wieder aufsuchen kann, quer durch Zeit und Raum. Dann ist es egal oder was. Aber das sind ja – diese Vorstellung ist natürlich auch mit Träumen verbunden, weil sich das auch nicht so sehr im normalen Leben organisieren lässt. Aber die richtige Vorstellung wäre, wenn ich, was ich auch versuche und sicherlich auch gemacht habe, mein privates Leben oder mein persönliches Leben mit dem künstlerischen Leben verbinde. Das heißt also, dass ich, wenn ich durch die Stadt gehe, einerseits die Stadt bemerke, wie sie ist die Stadt, wie sie im sozialen Ablauf ist, aber andererseits mir einfach Dinge auffallen, wo ich sagen kann, dem würde ich nachgehen, da würde ich etwas machen damit oder was. Ob das jetzt eine Zeichnung ist oder nur ein Foto ist oder etwas Kleines, etwas Großes, ist egal, oder ob ich vielleicht einen ganzen Bezirk abreißen möchte und dort neue Häuser hin bauen, die von wem ganz anderen benutzt werden, als wie sie jetzt benutzt werden oder ganz eine andere Struktur haben, ob ich andere Einbahnen schaffen möchte oder Radwege oder irgend… – also und so weiter.

S.R.: Jetzt noch eine Frage, die sich auf diese sehr speziellen früheren Arbeiten bezieht, wo du ja genau das gemacht hast, dass du eigentlich das Privateste – deine Identität als Frau – in die Öffentlichkeit gebracht hast. Aber dafür immer eine ganz spezielle Definition, einen ganz speziellen Rahmen gefunden hast. Das ist für mich, also wenn ich diese Arbeiten sehe oder die Bilder davon, dann sind die für mich deshalb so stark, weil du quasi diesen öffentlichen Raum für dich definierst und da bestimmte Handlungen in Anspruch nimmst. Wie würdest du diese Inszenierung – weil ich weiß nicht, wie du es selbst bezeichnest – wie würdest du das formulieren, dieses Zusammenbringen von der persönlichsten Seite des Menschen – also körperlich – zu dem so genannten öffentlichen Raum mit allen seinen Stereotypen?

V.E.: Das ist an und für sich eine ziemlich schwierige und komplizierte Arbeit. Auch wenn man künstlerisch jetzt versucht, es umzusetzen, und wenn es dann auch in der Umsetzung oder nachdem die Umsetzung passiert ist, eigentlich recht frei ausschaut, aber es ist sehr zwanghaft in Wirklichkeit. Weil für mich war ganz wichtig, dass ich keine biografischen Sachen machte. Das, was ich wirklich gehasst habe war, sind diese literarischen Biografien, oder auch Filme, die mit Biografien zu tun haben. Aber andererseits kann ich, wenn ich persönliche Sachen mache oder wenn ich mein Identitätsproblem behandeln möchte, ja nur von meiner Biografie ausgehen. Also ich bin da in einem – eigentlich ist man da in so einem Zwischenraum drin. Wie setze ich die Dinge um und was lasse ich zu und was lasse ich nicht zu? Und für mich war vielleicht bei diesen Identitätssachen ein großer Vorteil, weil ich Identitätsschwierigkeiten hatte, überhaupt, ja, also ich wollte keine Zuordnung der Identität haben, ich wollte überhaupt keine Identität haben. Was natürlich nicht stimmen kann, beziehungsweise ich wusste, daran kann ich auch wahnsinnig werden. Aber wahnsinnig wollte ich auch nicht freiwillig werden. Das wäre dann wieder ein ganz anderer Schritt gewesen, mit sich selbst oder der Umwelt oder mit dem künstlerischen Ausdruck umzugehen. Jetzt muss man so eine Basis finden, wo man sagt, man bringt seine Identität, seine eigenen Identitätsauseinandersetzungen, gibt sie in einen sozialen Kontext, gibt sie in einen kulturellen Zusammenhang, und aus diesem heraus, da versuche ich dann jetzt einen Weg zu gehen, der neue Öffnungen macht. Oder der dazwischen ist, so wie ich immer – ich sage ja oft, die Dinge liegen einfach zwischen den Dingen. Und dieses „Dazwischen“ zwischen den Dingen, das muss man entdecken oder das muss man einfach darstellen, was dazwischen ist. Und das kann eben ganz was Eigenartiges sein. Es kann etwas sein, was nichts ist, aber es kann auch etwas sein, was drinnen ist; so in den Fugen, wie man sagen würde. Man sagt ja – in der Musik gibt es ja auch die Fuge.

S.R.: Eine Frage noch… Man sagt, es gibt im Prinzip so zwei Positionen, wenn man sich den Künstler vorstellt, der jenseits seiner Arbeit, vor die Kamera tritt. Jetzt diese Situation hier. Es wird immer behauptet, es gibt im Prinzip so zwei Möglichkeiten, wie der Künstler sich verhalten kann. Entweder er entwirft aus seiner Perspektive den authentischen Künstler und spielt den authentischen Künstler. Und die andere Position ist eben das, zu sagen: Jede Form von Vor-die-Kamera-Treten als Künstler – weil das ja eigentlich eine zusätzliche Arbeit ist, die eigentliche Arbeit, sagt man ja immer, hängt an der Wand oder ist woanders passiert – die zweite Variante wäre dann quasi, die Situation des vor die Kamera treten – was du ja jetzt auch schon machst – zu gestalten indem man das ganz deutlich macht. Vielleicht kannst du zu diesen beiden, die ja auch eine historische Positionierung ist jeweils. Vielleicht kannst du da noch etwas zu sagen. Warum du dich zum Beispiel jetzt dazu entschlossen hast, die Situation für dich so zu definieren?

V.E.: Also die letzte Frage, ich verstehe sie natürlich schon, ja klar. Aber warum ich es so definieren wollte, ich wollte eigentlich, ich glaube, das kann ich jetzt nicht so, ich kann das jetzt einmal so nebenbei sagen. Ich wollte einfach nicht also jetzt, dass hier eine Kamera – das ich so ein Talking Head bin in einem Film – wie auch immer der Film gestaltet ist, das ist keine Abwertung jetzt oder was – und etwas spreche, was ich mir denke zu diesen Fragen oder in dem Gespräch. Ich wollte einfach irgendwas dazwischen geben. Also, ich wollte irgendwas dazwischen geben oder ich wollte mich selbst einmal auf etwas drauf projizieren, und diese Projektion kann man dann wiederum weiter projizieren und kann man weiter zeigen. So ist es glaube ich am ehesten zu erklären. Also dass ich sage, ich bin eine, wie könnte man sagen oder was. Es geht vielleicht jetzt um dieses Prinzip der Repräsentation oder was. Was ist ein Bild? Wenn auf dem Bild nichts drauf ist, aber die Stimme ist da, aber ich das Bild bestimmt habe, dann bin ich auf dem Bild drauf. Nur, ich bin natürlich nicht sichtbar drauf. Ich bin nicht sichtbar drauf, weil ich habe mich aus dem Bild entfernt. Ich bin aus dem Bild ausgetreten. Aber ich bin als Bild ist da, weil das Bild habe ich gemacht. Also wenn wir mal ganz weit zurückgehen, dann würde man sagen, die weißen Bilder vom Rauschenberg und so weiter oder so, wo da ja auch der Bildcharakter, die Repräsentationsfläche ganz stark behandelt wird. Wo man sagt, geht raus und dann mach ich es trotzdem. Das war also eine Intuition oder eine, es war. Jetzt ist alles drauf oder was, jetzt kommt es dann ein Nachspann oder was. Aber das war so Intuition, also sozusagen, wenn es jetzt um das Thema geht, konzeptuelle Kunst oder Konzepte in der Kunst oder wie das dann genau heißt, dann kann ich jetzt nicht erzählen und plaudern, weil dann könnt ihr ja auch einen Katalog aufnehmen. Und irgendjemand fragen, was wird sie sich dabei gedacht haben, die kann nicht über jede Arbeit reden. Es ist für mich dann irgendwie auch ganz klar, dass ich für dies dann auch das Konzept nehme. Also mir die Freiheit nehme, mir das Konzept zu nehmen.

S.R.: Gut, also die nächste Frage wäre dann rein technisch – weil ich habe mit dem Peter Weibel darüber gesprochen, weil für den Film kann man ja immer nur relativ kurze Statements verwenden, weil das so viel ist. Der Plan ist eigentlich noch eine Box mit DVDs zu machen, wo dann die ganzen Interviews drauf sind. Da wäre dann die Überlegung, sollen wir dann zum Beispiel dieses „Copyfax“ einblenden, wenn man deine Stimme hört oder wie würdest du das dann machen, das kann man dann ja direkt jetzt schon festlegen.

V.E.: Nein, da würde ich dabei bleiben oder was. Weil die DVD ist ja nur ein Trägermaterial von dem Ganzen, was jetzt passiert. Das könnte ja genauso auf Video sein oder  in zwanzig Jahren heißt das Trägermaterial dann anders, aber es ändert nichts am Inhalt für mich. Sicher, manchmal ändert ein Trägermaterial etwas, das ist ganz klar, aber du wirst ja jetzt nicht die ganzen Interviews malen wollen.

S.R.: Nein, nein, aber auf der DVD soll dann schon alles, was man akustisch gut verstehen kann, und was verwertbar ist, soll schon komplett drauf sein.

V.E.: Richtig, ja

S.R.: Und was würdest du dann als Bild gerne haben?

V.E.: Ja, dieses Bild was wir jetzt.

S.R.: Das Bild, das „Copyfax“?

V.E.: Ja. Oder die Aufgabe wäre an dich jetzt, du malst alle Interviews. (Lachen) Aber du kannst es in Auftrag geben, es gibt sicher talentierte junge Maler, die das dann groß ausstellen und eine Sammlung kauft es.

S.R.: Genau. Baldessari hat das ja gemacht.

V.E.: Eben, Baldessari hat’s gemacht. Ja genau. Und eine Sammlung kauft es und alles hat sich zum Besten gewandt. Und das ganze Interview und die ganze Abfolge ist dann noch in einer richtigen Sammlung drinnen, praktisch zum Sehen.

S.R.: Genau! Sehr gut. Gut, ich bedanke mich.