Thomas Locher

Studio, Berlin 15.12.2004

S.R.: …Was war für Dich die wichtigste Inspirationsquelle, Deine Kunst so zu entwickeln, wie sie jetzt dasteht, als eine sehr spezielle, spezifische Position innerhalb der zeitgenössischen Kunst. Was waren für Dich die wichtigsten Quellen? Wie bist Du dazu gekommen?

T.L: Es gibt tatsächlich unterschiedliche Quellen. Eine ganz wichtige Quelle war sicherlich die Begegnung mit konzeptueller Kunst, aber auch mit minimalistischer Kunst. Wenn du dir deutsche Museen anschaust, die waren in den 70er auch schon ganz gut bestückt mit, zumindest teilweise, minimalistischer Kunst. Da ich nicht so viele deutsche Museen kannte und vor allem in die Staatsgalerie gegangen bin, die haben z.B. einen Judd gehabt. Dann natürlich, ein ganz wichtiger Punkt war auch die Literatur und vor allem die konkrete Poesie. Ich war ja, bevor ich überhaupt Kunst studiert habe, war ich während meines Zivildienstes Gasthörer bei Max Bense.

S.R.: Oh.

T.L.: Nicht oh, es heißt ja nicht, dass ich das verstanden habe, was der gute Bense erzählt hat. Aber es war zumindest interessant. Ich habe auch nicht alles geglaubt, aber es war insofern interessant als dort – und Bense war ja schon emeritiert zu der Zeit – zwischen 1977 und 79 – aber es war zumindest interessant. So etwas hatte ich vorher noch nicht gehört, was dort besprochen wurde. Wie auch, ich komme ja auch aus der schwäbischen Provinz Aber die konkrete Poesie hat in Stuttgart und auch schon in Schulzeiten eine gewisse solide Grundlage gehabt; das war ein bekannter Topos. Und natürlich, was ab den frühen 80ern in Stuttgart passiert ist durch Leute wie Jean Pierre Dubost, der quasi die Theorie aus Frankreich ausgebreitet hat. Das war schon ein ganz wichtiges, auch durchaus heterogenes und gar nicht so zusammenhängendes Ding. Ich wusste noch lange nicht, in den Anfängen, was ich eigentlich vorhatte. Das hat sich eigentlich erst sehr spät ergeben, auch durch unmittelbare Begegnungen mit Künstlerkollegen. Wie z.B. Lawrence.

S.R.: Lawrence Weiner. Wann hast Du ihn das erste Mal getroffen?

T.L.: 1984. Ihn treffen ist ein bisschen übertrieben. Wir sind halt auch dabei gewesen und haben das Maul nicht aufgekriegt, Rolf (Walz) und ich. Er war in Stuttgart eine Woche anlässlich einer Ausstellung, die die Tanja (Grunert) gemacht hat zur Eröffnung der Staatsgalerie, die hieß “Idea”. Er war, abgesehen von den Lehrenden, die man hatte, von den Kommilitonen, die man hatte, von lokalen Künstlergrößen, die man kannte, so der erste, die internationale Figur, der man so ein bisschen näher gekommen ist, und das war einfach interessant auch zu hören, wie jemand redet – auch über Politik redet, über Kunst, über allgemeine Fragen des Lebens. Ein ganz anderer Habitus, weder subjektivistisch noch aufgeregt, sondern einfach normal. Das fand ich schon sehr beeindruckend.

S.R.: Wenn wir jetzt über die Kunst gesprochen haben als Inspirationsquelle oder, manche mögen den Begriff nicht so sehr, Einfluss. Gab es Einflüsse von außerhalb des Kunstfeldes, also eher aus der Welt, aus der populären Kultur, die für dich einen Stellenwert eingenommen haben, vielleicht auch aus der Wissenschaft, aus der Psychologie, die für dich einen Stellenwert eingenommen haben und für dich irgendwo immer noch einen Reflexions-Part spielen in Deiner eigenen Arbeit?

T.L.: Also Du meinst jetzt Lebensbereiche, die nicht zur Kunst dazugehören, die nicht zur Theorie dazugehören?

S.R.: Doch, die können schon Theorie sein. Ich erinnere mich z.B. daran, dass Du immer sehr viel gelesen hast, was mir noch sehr fremd war zu der Zeit, sehr viel Lacan gelesen hast, sehr viel Psychologie, Gestalttheorie und solche Sachen. Hast Du Dich schon sehr früh dafür interessiert, oder ist das erst später dazu gekommen?

T.L.: Das ist auch erst später dazu gekommen. Das kam erst in den ersten Jahren in Köln zum Repertoire. Aber da war ich auch nicht der einzige, der sich damit beschäftigt hat. Lacan hat ja noch einmal einen zweiten, dritten Frühling gehabt in den 80er Jahren, vor allem in der Kunstszene. Aus dem Populärbereich bin ich nie so „attached“ gewesen, eher was die Verwendung von Materialien anbelangt. In der Wahl habe ich gerne versucht, diesen Link zwischen „ordinary language“ und „ordinary object“ zu ziehen, und da muss man sich natürlich auch ein bisschen mit der Welt der Gegenstände beschäftigen, also mit der Dingwelt, das hat mich immer interessiert. Aber Musik z.B., obwohl ich ja auch Musik gemacht habe und in verschiedenen Bands gespielt habe, aber die Musik hat überhaupt gar keinen Einfluss auf mich gehabt.

S.R. Jetzt ist die prinzipielle Frage, sollen wir noch ein bisschen hier weiter machen oder sollen wir mal in einen anderen Raum gehen.

(Ortswechsel)

S.R.: Ich wollte Dich noch gerne fragen, was für Dich die wichtigsten Einflüsse für Deine eigene Praxis dargestellt haben, was Du im Kunstbereich eigentlich als Vorbild betrachten würdest.

T.L.: Heute oder damals?

S.R.: Lass es uns aus der heutigen Zeit machen.

T.L.: Aus der heutigen Sicht. Natürlich, mit zunehmendem Alter gibt es immer weniger Vorbilder, da verschwindet diese Meisterfolie ein bisschen und tritt stark in den Hintergrund. Aber ich muss sagen, als Derrida gestorben ist, das hat mich schon sehr bewegt. Es ist auch mit seinem Tod eine gewisse Epoche zu Ende gegangen; vielleicht ist das auch ein bisschen übertrieben, aber auch eine gewisse Epoche, die unsere Jugend auch geprägt hat. Das ist ein bisschen vorbei. So eine geistige Größe, mit so einer Strahlkraft, sehe ich im Augenblick nicht. Von diesen Monstern, speziell von den französischen Monstern, war er ja auch eigentlich fast der Letzte. Aus, fertig. Das hat mich schon sehr bewegt. Ansonsten gibt es immer mal wieder Dinge, die ich ganz toll finde, ob alt oder jung, das ist eigentlich vollkommen egal. Aber eine richtige Vorbildfunktion übt eigentlich überhaupt niemand mehr auf mich aus. Aber ich komme gelegentlich auch gerne zu meinen Ursprungseinflüssen zurück.

S.R.: Zum Beispiel?

T.L.: Also Lyotard lese ich immer wieder, muss ich sagen. Er ist auch jemand, von dem ich mich wirklich am stärksten habe beeinflussen lassen. Es gibt keine Masterriege; durch die Nähe zu Josef, der mich auch sehr stark protegiert hat und mir auch sehr stark geholfen hat, aber auch die Nähe zu Peter Weibel, mit dem ich immer noch ganz gut verbunden bin. Da ist immer ein gewisser Austausch vorhanden, aber nicht im Sinne von einer Vorbildlichkeit.

S.R.: Es gab in New York, ich weiß nicht, ob Du das gehört hast, nach dem Tod von Jacques Derrida eine Todesanzeige oder sozusagen eine Erklärung, dass er tot ist, und übersetzt hieß es glaube ich so etwas wie „…der verrückte, durchgeknallte Dekonstruktivist Jacques Derrida ist tot.“ Es gab ja dann nachher einen Aufschrei bei den Intellektuellen in den USA. Wie war die Schlagzeile ich habe es nicht mehr genau im Kopf?

T.L.: Na ja, der Artikel war jetzt nicht gerade sehr seriös. Er war geradezu ranzig und hat quasi Derrida auch in seiner intellektuellen Leistung überhaupt nicht gewürdigt und auch nicht kritisiert. Das war eher eine dämliche Polemik, ich glaube in der New York Times. Peinlicher Missgriff.

S.R.: Da fühlt man sich ja auch, also mir persönlich ist es so gegangen, dass ich mich persönlich…

T.L.: …an die Habermasschen Polemiken der 80er Jahre erinnert.

S.R.: Ich fühlte mich auch so ein bisschen verletzt, weil Derrida war für mich so eine Figur, die eigentlich unangreifbar ist. Das war einer der Götter.

T.L.: Nicht unangreifbar, durchaus kritisierbar, aber von so hohem respektablem Wert, dass er, wenn schon eine Kritik, eine ordentliche Kritik verdient gehabt hätte. Ich fand es auch ziemlich blöd. Peinlich, blöd, dumm.

S.R.: Aber daran sieht man ja, dass es immer noch, in bestimmten Kreisen große Vorbehalte oder große Missachtung seiner Form des Denkens entgegengebracht wird. Es ist eigentlich ein Zeichen dafür, dass es immer noch revolutionär ist. Er würde dem natürlich widersprechen.

T.L. Na ja, die Frage der Dekonstruktion ist mit seinem Tode ja nicht zu Ende gedacht. Andere müssen das übernehmen oder fortführen oder weiterdenken, aber ich bin ja auch kein Spezialist, was die amerikanischen Universitäten anbelangt. Aber das hat natürlich in Amerika schon zu so einer Umwandlung des Denkens innerhalb der Universitäten geführt, wie ja bei uns auch, und es hat natürlich auch andere Personen aufs Tableau gebracht. Unter dieser Konkurrenzsituation muss man vielleicht so eine Polemik eher verstehen. Und dann natürlich Frankreich. Frankreich ist halt im Augenblick auch wegen der amerikanischen Außenpolitik nicht gut gelitten. Da kann man schon einmal ganz ordentlich dagegen schrammen.

(Ortswechsel)

S.R. Ich wollte noch einmal davon ausgehen, ich weiß dabei nicht ob der Begriff richtig ist, aber du hast ja eben auf die konkrete Poesie angespielt, dass das eine wichtige Beeinflussung für Dich war. Die Konkreten haben Sprache ja durchaus als Material bezeichnet und verstanden. Bei Dir kommt in meinem Verständnis dazu, dass die Sprache ein künstlerisches Material ist, niemals aber die Darstellungsweise, die Materialisierung dieser Sprache vernachlässigt wird. Du hast Deine eigene Sprache der Darstellung entwickelt. Mich würde noch einmal interessieren: siehst du Sprache tatsächlich als Material, als Spielwiese, und inwiefern hat diese Sprache für Dich noch eine Erkenntnisfunktion? Vielleicht kannst Du zu dieser Polarität noch etwas sagen.

T.L.: Es ist Material. Es ist aber auch – der Witz ist ja ein ganz wichtiger Aspekt der Sprache. Aber dann sind wir schon eigentlich auch beim Genießen der Sprache und auch bei der Reflexion, denn der Witz verbindet ja beides, oder die Ironie. Ich glaube schon, dass die Sprache noch immer einen kritischen und reflektorischen Inhalt abwirft. Trotzdem, formal bin ich natürlich – wenn ich mich vergleiche mit zeitgenössischen Künstlern, die auf eine gewisse Konzeptualität referieren – bin ich schon ein bisschen altbacken. Wir haben ja so einen gewissen „Inhaltismus“, der so ein bisschen glaubt, ohne die Berücksichtigung der Form auszukommen – also Inhalt und Form, beides zu denken, ist ein bisschen aus der Mode. Aber das ist nun mal auch ein Ding von mir; aber das ist auch nur mehr oder weniger. Ich hänge nicht an den Prinzipien für alle Zeiten. Ich versuche mich auch gelegentlich anzupassen an zeitgenössische Diskurse.

(Ortswechsel)

S.R.: Viele der analytischen Konzeptkünstler haben sich sehr stark mit Wittgenstein beschäftigt, nicht nur Joseph Kosuth. Du gehst weiter und nimmst Gesetzestexte, zum Beispiel wie hier das Grundgesetz für die BRD, nimmst diese Texte und kommentierst die, unterziehst sie einer Lektüre; es ist ja eine Entscheidung für bestimmte Inhalte, die sofort lesbar sind, wenn man diese Arbeiten sieht. Wie, noch mal bezogen auf das Thema Inhalt/Form – wie gehst Du vor? Was ist für Dich das Entscheidende? Ist der Text als Material das Entscheidende, oder Deine Lektüre, oder ein gewisses analytisches Ziel, das Du dabei verfolgst?

T.L.: Das sind ja jetzt Arbeiten, die etwas mit der Notstandsgesetzgebung, die in den 60er Jahren erfolgt ist, zu tun haben, als Neu-Inkorporierung in das Grundgesetz. Das ist natürlich schon ein interessantes Material, was auf einem geschichtlichen Hintergrund basiert, und das ist natürlich der Grund, warum es überhaupt ausgesucht wurde. Text um des Textes willens, das ist natürlich ein bisschen zu wenig; das muss schon irgendwo an einem bestimmten Punkt, an einer ideologischen Konstruktion, an irgendeinem historischen Ding festgemacht werden. Ich fand dass man… die hatte ich schon lange textlich vorbereitet, aber ich habe sie nach dem 11. September produziert, weil ich dachte, jetzt könnte man eigentlich auch noch einen Subkommentar zum 11. September und seiner Notstandslyrik und seiner Notstandshysterie herausgeben. Aber ich glaube, das ist ein bisschen zu abstrakt gewesen, dieser Bezug, den konnte ich sehr schwer kommunikativ vermitteln. Aber es ist immer wichtig welcher Text, welche Bedeutung spielt der quasi im realen Leben – also bei diesen Arbeiten, nicht bei allen; manchmal ist es auch sehr, sehr abstrakt und behandelt eine Fragestellung sehr distanziert vor einer Lebenswirklichkeit. Aber hier ist es ein alter Konflikt, der letztendlich ja auch zur Studentenrevolte geführt hat – also die Inkorporierung der Notstandsgesetze; ein uralter Diskurs. Diese Notstandsgesetze sind ja immer noch Teil der Verfassung ungebrochen.

S.R.: Die Frage nach dem Verhältnis von Form und Inhalt impliziert natürlich auch den Entwurf einer künstlerischen Praxis und damit den Entwurf eines künstlerischen Subjekts, also wie Du selbst in diesen Arbeiten vorkommst. Es gibt, ganz konkret bezogen auf das Medium Film, gibt es eine Aussage, dass dem Künstler der Kamera gegenüber, im Prinzip der dokumentarischen Kamera gegenüber im Prinzip nur zwei Möglichkeiten bleiben. Die eine Möglichkeit ist die, den authentischen Künstler zu geben, die andere Position wäre, dialektisch betrachtet, das Filmische, die Situation immer schon in den eigenen Habitus mit einzuschließen, also sich quasi zum Medium zu positionieren, kritisch zu verhalten. Glaubst Du, dass das richtig ist, dass es nur diese zwei Möglichkeiten existieren?

T.L.: Natürlich ist diese, sagen wir mal, das Endprodukt schon so herzustellen, dass es medial besser verwurstbar ist, ist natürlich eine sehr verführerische Angelegenheit. Das ist der Erfolg der Fotografie in den letzten 20 Jahren. Es ist schon ein printbares und mediales Medium, das sich dann ohne Probleme in andere mediale Bereiche weiter ergießt. Um jetzt noch mal zum Ausgangspunkt zu kommen: Das hat mich immer an der Konzeptkunst, das fand ich immer großartig, dass das Persönliche so wenig eine Rolle spielt, dass diese Subjektivität und die Persönlichkeit als Grundvoraussetzung so wenig in der Kunst und auch als Voraussetzung enthalten ist – was ja auch so ein Phantasma ist, was nicht hinhaut; es ist auch eine Konstruktion. Aber die Frage der Authentik – selbst ohne Kamera weiß ich schon nicht mehr, was bin eigentlich ich. Natürlich ist das Künstlersubjekt nicht die einzige Subjektform, die ich habe; es gibt schon noch mehr. Aber die kann ich in ihrer Klarheit manchmal auch nicht so genau differenzieren: Von welcher Position spreche ich jetzt, von welcher Rolle aus, oder von welcher Zuschreibung rede ich überhaupt. Aber es ist klar: die Kamera ist ein Imperativ, der mich zwingt, diese Rolle ganz klar zu überdenken und sie mir auch anzueignen.

S.R.: Schönes Statement; ich würde jetzt gerne Ort wechseln aber noch mal mit dieser Sache einsetzen, also quasi da noch mal beginnen.

(Ortswechsel)

S.R.: Ich würde gerne da einsetzen, dass du gesagt hast, dass scheinbar in der Konzeptkunst das Persönliche, das Authentische negiert wird. Jetzt ist mein Ansatz für diesen Film aber sehr stark die Frage: Ist es nicht so, dass durch diese Kritik, Infragestellung, den Tod des Autors, also das, was als Topos immer wieder auf die Konzeptkunst gedacht und angewendet wurde – hat das nicht gerade bei den Künstlern, die sehr stark in dieser Tradition stehen, die in diesem Feld gearbeitet haben, mittlerweile wieder selbst zu einer ganz bestimmten Autorschaft geführt, die quasi in einer Form, wie sie die Autorschaft einsetzt, sie als Konzeptkünstler zu verstehen gibt, insofern als – natürlich der Künstler, der der Kamera gegenüber tritt – man könnte auch sagen, heutzutage, als Frage, steht die Kamera identisch oder im Verhältnis zu dem Begriff von Öffentlichkeit, den wir haben? Insofern als alles im Fernsehen oder im Internet über Kamera und Text vermittelt wird. Insofern, ist nicht die Authentizität heutzutage, dass man sich immer schon bewusst ist, dass eine Kamera anwesend ist; und diese Typen, die sich gebildet haben über die Konzeptkunst, sind sie nicht der Grundbaukasten, mit dem viele Künstler operieren, selbst wenn sie gar keine Konzeptkünstler sind?

T.L.: Kosuth hat ja in „Art after Philosophy” gesagt, dass alle Kunst konzeptuell ist.

S.R.: Ja, aber er hat gleichzeitig starke Exklusionen und Inklusionen vorgenommen.

T.L.: Was zu gewissen Konflikten geführt hat. „Konzeptuell“ ist natürlich auch ein Stil geworden; es ist nicht nur eine Denkungsart, eine Ideologie, eine aus verschiedenen kanonischen Begriffen zusammengesetzte Praxis oder was weiß ich, sondern es ist auch ein Stil geworden. Dadurch dass es auch historisiert ist, liegt es quasi als Ergebnis vor, und alles, was als Ergebnis vorliegt, ist Material und kann verwendet werden. Deshalb hast du heute so viele Dinge, die konzeptuell sind oder auch nicht und…

S.R.: …aber so aussehen.

T.L.: Aber so aussehen, ja. Und manchmal auch tatsächlich konzeptuelle Züge haben. Auf dieser Ebene der Benennbarkeit oder des Ready-mades – das könnte man als Verwässerung bezeichnen, aber man könnte auch sagen, es ist auch ein gewisser Erfolg des Konzeptualismus, der ihn quasi historisch beerdigt hat, erledigt. Was ich ganz interessant finde ist, dass manche klassischen Figuren der 60er und 70er Jahre in ihrer Arbeit auch ironische Momente drin haben – also lassen wir mal die Autorenschaft, das ist ja sowieso ein ganz schwieriges Ding, selbst bei Kunst, die sehr stark auf dem Subjektivismus fußt, frage ich mich oft, ob das nicht eine sehr konventionelle Vorstellung von Subjektivität ist. Und auch die Konzeptkunst kommt ohne diesen Bereich des Eigensinns nicht aus. Da würde ich bei der Autorenschaft eher sagen: weiß ich nicht so genau, was das ist – außerdem, Dekonstruktion hat ja auch nicht das Subjekt beerdigen wollen; die wollten es ja eigentlich retten. Ich würde auch sagen, dass… also für den Begriff des Autors würde ich eher diesen Eigensinn-Begriff, den ja Kluge und Negt gerne verwendet haben, benutzen, den halte ich für ganz hilfreich. Habe ich das jetzt beantwortet?

S.R.: Ja, das war jetzt sehr interessant, da würde ich auch gerne weitermachen.

T.L.: Das kann sich in der Wahl des Themas – womit beschäftige ich mich überhaupt, wie verhalte ich mich zu den gegebenen Diskursen? Klinke ich mich ein oder sage ich, jetzt negiere ich das einfach mal und bleibe bei meinem Ding. Es ist ja nicht so, dass man nicht anpassungsfähig ist, durchaus. Das sind so Fragen, die sich stellen: Wie verhalte ich mich überhaupt zum Material, welches Interesse habe ich daran, was mache ich damit, was will ich damit sagen, was zeige ich überhaupt und wie. Also von einer inneren Position, die ich aber gar nicht so trennen möchte von dem, was außen ist, weil, ich weiß auch nicht, wie ich das auseinander halten kann. Dann habe ich noch das Außen, also ich befinde mich in so einer historischen Situation, in der sich alle befinden, aber was mache ich da, was ist da interessant, was ist fragwürdig, was ist prekär, was ist problematisch. Manchmal kann man sich gar nicht aktuell verhalten, das geht oft gar nicht, und dann muss man in die Geschichte zurück, wie Kluge und Negt, die aus der Geschichte ja gar nicht mehr rauskommen, aus einem ganz bestimmten Feld der Geschichte.

S.R.: Ich möchte jetzt noch mal in eine Richtung lenken, und zwar nochmal bezogen auf die Originalität. Die Konstruktion der Originalität in der Kunst ist ja eine ideologische, die auf eine bestimmte Autorschaft verweist. Diese Originalität wurde gerade durch die konzeptuelle Kunst in den 60er, 70er Jahren bis heute negiert, oder zumindest in Frage gestellt.

T.L.: Aber Du kannst trotzdem alle voneinander unterscheiden, bis aufs Milimeterpapier.

S.R.: Ja, das ist genau der Punkt, wo mich interessiert, diese Typen – manche sprechen auch von „amazing minds“. Das ist nicht so meine Terminologie – aber diese Typen, die doch alle etwas ganz Eigenes haben, noch einmal zu untersuchen und vor allem zu Wort kommen zu lassen. Das ist ja eigentlich eine Form, eine eher authentische Darstellung des authentischen Künstlers, also diese Form von Authentizismus zu erzeugen: der Künstler spricht zu seinem Werk. Mir scheint es aber gerade für die Konzeptkunst sehr wichtig, die Sprache und die Performance dieser Individuen, dieser Subjekte in einer historischen oder historisierten Form mitzudenken, und das mache ich sehr stark aus einer Fan-Perspektive. Glaubst Du, dass das gefährlich ist für das Projekt, dass das irgendwo in so eine Authentisierungsfalle gerät?

T.L.: Du meinst Dein Projekt?

S.R.: Ja.

T.L.: Weiß ich nicht, aber was wären denn die kritischen Fragen? Die kritischen Fragen an die Konzeptkunst, oder an Leute, die immer noch konzeptuell arbeiten oder die sich auf Konzeptualität berufen, könnte ja heißen: Wo ist denn da bitte schön noch das kritische Moment? Dann könnte man kritisch anmerken, ist es gar nicht so kritisch, sondern hat es auch eine ganz starke Affirmation. Buchloh hat das ja sehr stark kritisiert, dass die Konzeptkunst durchaus auch vergleichbar ist mit Wissensformation amerikanischer Hochschulen, die sich von der Ideologie zurückgezogen haben, also wo die Soziologie und Psychoanalyse oder Psychologie sich entfernt hat von ideologischen Voraussetzungen – so wie in der Prädikatenlogik letztendlich jeder Satz analysiert werden kann. Aber grundsätzlich glaube ich, dass in allem was jemand macht, künstlerisch, in dem Moment immer ein affirmativer Gestus enthalten ist. Du bist Kind deiner Zeit, du kannst nicht raus, so distanziert kannst du dich zu dem, was es gibt, gar nicht verhalten. Es gibt ein distanziertes Moment, aber das Affirmative, das Bejahende und das wenig Kritische ist genauso ein Moment der Konzeptkunst wie viele andere Dinge auch. Das fand ich ganz interessant; ich habe den Lawrence Weiner gefragt, nach welchen Kriterien er seine Sätze aussucht. Es ist auch das Poetische; es ist Klang, es ist der Sound, die Visualität des Satzes, das Gehörte, das Gesprochene, das spielt eine ganz große Rolle. Vielleicht liegt da auch der Reichtum der ganzen Geschichte enthalten.

S.R.: Es ist interessant, dass Du auf den Begriff der Kritik gekommen bist, weil das ist ja so etwas, was die ganze Zeit noch im Raum stand, der Begriff Distanzierung, Kritik kam immer wieder vor. Vielleicht können wir da jetzt noch einmal fokussieren, insofern, was ich jetzt angesprochen habe, quasi über das Projekt selbst zu sprechen mit Dir, welche Fallen es gibt, welche gefährlichen Punkte. Das ist ja eine Form, in der Produktion einer Arbeit quasi Eventualitäten, Perspektiven mitzudenken. Man spricht ja auch von der heutigen Zeit als dem post-kritischen Zeitalter. Wie stehst Du dem gegenüber? Inwiefern müssen Deiner Ansicht nach künstlerische Arbeiten immer ihre eigenen Bedingungen auch kritisch reflektieren oder hat sich das erübrigt bezogen auf Medien, auf Erkenntnis?

T.L.: Flick Collection?

S.R.: Flick Collection, ja. Sammlung. Gibt es die Kritik noch? Ist die Kritik noch eine Domäne der Konzeptkunst? Das sind ja alles solche Fragen.

T.L.: Die Frage ist, ob sie überhaupt einen Anteil in der Kunst noch hat. Ich glaube schon. Ich denke schon, dass man immer noch kritisch sein kann; ob das jetzt konzeptuell ist oder nicht, ist eigentlich vollkommen egal.

S.R.: Ja, aber wir gehen ja davon aus, dass der selbstreferentielle Ansatz, eine Kritik auf dem Repräsentationssystem, auf der Erkenntnisebene, der medialen Ebene, der institutionellen Ebene – dass das alles substantielle Aspekte der Konzeptkunst waren. Glaubst Du, dass man das heute noch so…

T.L.: Das habe ich nie geglaubt. Die Institutionskritik kritisiert das Museum, aber sie kritisiert nicht das Verteidigungsministerium, was auch eine Institution ist. Aber dann zu behaupten: „Ich kritisiere das Museum, aber eigentlich meine ich was ganz anderes.“ – das ist Scheißdreck, glaube ich. Okay, es ist natürlich interessant, das Museum zu kritisieren, weil es gewisse Prinzipien pars pro toto vorführt, aber es tut doch nicht weh. Jetzt frage ich mich natürlich auch, oder du müsstest mich jetzt fragen, was tut denn eigentlich weh? Weiß ich auch nicht.

S.R.: Oder muss Kunst noch weh tun, denn oftmals ist es ja so, dass die Kunst, die weh getan hat der Institution…

T.L.: Raus! Oder rein! Ganz schnell!

S.R.: Ja, dass die drin ist mittlerweile.

T.L.: Die Skandalierungsversuche des Museums haben dazu geführt, dass man ganz schnell Bestandteil des Museums geworden ist. Eigentlich eine Strategie, die schon lange feststeht. Der gute Duchamp hat sein ganzes Leben dafür gebraucht, und vielleicht war das gar nicht mal so beabsichtigt. Aber alles danach hat nicht so lange gebraucht, um dieses Prinzip zu vollziehen, und jetzt geht es natürlich immer schneller. Aber Du könntest auch folgende Frage stellen – weil ich so eine Diskussion vor kurzem hatte mit einem Kurator – z.B. ist die Kunst, die quasi in der Flick Collection verbraten und verwurstet wird, ist die über jeden Zweifel erhaben? Und das gibt es ja, Kunst, von der wir immer ausgegangen sind, dass sie über jeden Zweifel erhaben ist. Also, sie wird dort missbraucht oder verwendet, um ganz andere politische Zwecke zu vollziehen, und wäre das mit einer ganz bestimmten Kunst nicht möglich? Da bin ich mir nicht so sicher. Das glaube ich mittlerweile auch, dass selbst die allergrößte kritische Kunst genauso verwendet werden könnte.

S.R.: Das Schlaue an so einer Sammlung, oder das Vereinnahmende ist die Form, wie ein Kontext erzeugt wird. Die Flick Collection ist ja nur ein Beispiel, wie – und ich kenne das aus dem Fälschungsdiskurs – die Originalität eines Werkes wird hergestellt durch den Verbund, den Kontext, in dem diese Arbeit erscheint.

T.L.: Sich gegenseitig stützende Figuren.

S.R.: Genau. Eine Fälschung, oder eine schwache Arbeit – ich spreche dann lieber von einer nicht so anerkannten Arbeit –, die im Kontext von in dieser Zeit sehr anerkannten Werken erscheint, die wird aufgewertet, bekommt einen besonderen Stellenwert. In wenigen Fällen – das hängt aber von der Perspektive ab – werden diese Arbeiten umso schwächer, sie fallen raus aus dem Kontext. Aber zunächst einmal versucht eine strategisch, politisch, repräsentativ strategische Sammlung wie die von Flick durch den Kontext eine Verstärkung des gesamten Zusammenhangs zu erwirken.

T.L.: Klar. Sich gegenseitig stützende Figuren, wie in einem Spiel.

S.R.: Jetzt kann man natürlich sagen, das ist ein geschlossenes System. Aber dieses System steht ja auch wieder in Zusammenhang mit dem Rest der Kunstwelt, und es kann da natürlich von Vorteil oder von Nachteil sein, in diesem aufwertenden Kontext zu erscheinen. Es kann von Vorteil sein, weil man Distanz einnehmen und sagen kann: mit dieser Geschichte habe ich nichts zu tun. Es kann aber von Nachteil sein, wenn solche Sammlungen Normen bildend sind.

T.L.: Folgender Fall: nehmen wir einmal an, Flick hätte auch eine Arbeit von mir gekauft, die wäre dort in dieser Sammlung enthalten, egal welche, sprechen wir einfach mal so über die Arbeit X oder Arbeiten X,Y,Z. Ja, was wäre dann? Ich möchte es nicht genau wissen. Ich glaube, das würde den gleichen Gang gehen, wie alle anderen Arbeiten auch. Die Sammlung hat auch einen Nivellierungsfaktor oder –effekt. Sie macht jedes Element zum Teil der Sammlung, als ein nicht nur im framing befindliches Teil des Spiels, sondern es bildet auch ein homogenes Ganzes. Es ist auch ein Identitätsfaktor, der damit in irgendeiner Form hergestellt wird. Bei Flick kommt natürlich noch ein ganz anderer Aspekt dazu, dass die Sammlung auch die Möglichkeit hat, sagen wir mal, einen Namen, der historisch besetzt ist, im Laufe der Zeit durchaus zu verwandeln, was durchaus legitim ist. Das werden wir dann sehen, zu welchen Ergebnissen das führt. Aber ich glaube nicht, dass es funktionieren wird. Ich glaube, dass die Unterdrückung von Symptomen, die hier ausgeklinkt, weggeputzt oder sonst wie nicht zur Kenntnis genommen werden, quasi wie so ein Alien, wie so ein Unbewusstes permanent Unruhe stiften werden. Vielleicht täusche ich mich auch, bin mir nicht sicher, keine Ahnung.